Medizinnobelpreis 1948: Paul Hermann Müller

Medizinnobelpreis 1948: Paul Hermann Müller
Medizinnobelpreis 1948: Paul Hermann Müller
 
Der schweizerische Chemiker erhielt den Nobelpreis für die Entdeckung der »Wirkung des DDT als Kontaktgift gegen verschiedene Arthropoden«.
 
 
Paul Hermann Müller, * Olten (Kanton Solothurn) 12. 1. 1899, ✝ Basel 13. 10. 1965; 1919-25 Chemiestudium mit anschließender Promotion an der Universität Basel, 1925-61 Tätigkeit bei der J. R. Geigy AG in Basel, er arbeitete vor allem über Wirkung, Toxizität und Struktur der Chlorkohlenwasserstoffe.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Bereits in seiner Schulzeit entdeckte der spätere Nobelpreisträger Paul Hermann Müller das Interesse für die Chemie. Nachdem er 1916 für zwei Jahre die Oberrealschule unterbrochen hatte, um als Laborant in mehreren Baseler Chemiebetrieben tätig zu sein, setzte er ab 1919 dieses Interesse in ein Studium der Chemie um. 1925 folgten die Promotion und der Beginn seiner Tätigkeit im Schweizer Unternehmen J. R. Geigy AG, dem er bis zu seinem Ruhestand 1961 als Forscher, zuletzt als Direktor und Laborleiter treu blieb.
 
 Eine Strategie führt zum Erfolg
 
Müllers Aufgabenbereich umfasste anfangs die Arbeit mit Pflanzenfarbstoffen und natürlichen Gerbstoffen. Zugleich fand er Gelegenheit, seine wissenschaftlichen Fähigkeiten zu perfektionieren; unter anderem entwickelte er die synthetischen Gerbstoffe Irgatan FL und FLT. Um sowohl seine chemischen als auch biologischen Interessen zu verbinden, wandte er sich nach zwischenzeitlicher Beschäftigung mit Desinfektionsmitteln ab 1935 endgültig den Schädlingsbekämpfungsmitteln zu. Deren Entwicklung war seit Jahrzehnten aktuell. Doch trotz zahlreicher Patentanmeldungen blieben die Erfolge gering: Zumeist war die Wirkung der Präparate zu unbefriedigend oder es traten — wie zum Beispiel bei arsenhaltigen Mitteln — starke Nebenwirkungen auf.
 
Müller war sich der geringen Erfolgsaussichten und höchst mühsamen Arbeit, die auf ihn warten würde, bewusst. Daher entwickelte er eine klare Arbeitsstrategie, nach der er sich ausschließlich auf Kontaktgifte konzentrierte; die Untersuchung von Fressgiften schloss er dagegen aus seinen Überlegungen aus. Weiterhin stellte er einen Katalog von sieben Eigenschaften auf, die ein geeignetes Schädlingsgift aufweisen müsse. Dazu gehörte insbesondere eine gegenüber Insekten hohe Toxizität, die weder Warmblüter noch Pflanzen nachhaltig beeinträchtigt. Ein großer, lang andauernder Wirkungsbereich als Resultat einer hohen chemische Stabilität sollte zudem einen niedrigen Herstellungspreis garantieren.
 
Aus früheren Versuchen war Müller bekannt, dass die CH2Cl-Gruppe eine gewisse insektizide Wirkung zeigt. Zur gleichen Zeit wurde in der Geigy AG ein auf Motten toxisch wirkendes Fressgift entwickelt, das chlorierte Phenylreste enthielt. Folglich suchte Müller zunächst in der Forschungsliteratur nach belegten Substanzen, die diese oder ähnliche Strukturmerkmale aufwiesen. Hiernach galt es, sie zu beschaffen beziehungweise zu synthetisieren und anschließend auf ihre toxische Wirkung zu prüfen. Dazu wurde ein Glaskasten konstruiert, in dem Insekten mit dem zu testenden Stoff bestäubt und anschließend in ihrem Verhalten beobachtet werden konnten.
 
Die Beharrlichkeit, Geduld, Präzision und gute Beobachtungsgabe erfordernden Arbeiten führte Müller selbst aus, denn nach seiner Einschätzung konnte nur ein Wissenschaftler, der die Methodik chemischer und biologischer Arbeitsweisen gleichermaßen beherrscht, am ehesten Beobachtungsfehler minimieren und Unerwartetes bemerken. Sein durchdachter Arbeitsplan engte zudem die unabsehbar große Zahl zu prüfender Verbindungen auf eine handhabbare Anzahl ein. So war es nahe liegend, nach den Synthesen einiger Diphenylmethanabkömmlinge, die die CH2Cl-Gruppe enthalten, auch solche mit der CCl3-Gruppe darzustellen. Im September 1939 erhielt Müller das Dichlordiphenyltrichlormethylmethan, kurz DDT genannt. Es zeigte eine hohe Toxizität gegenüber verschiedenen Insektenarten, wirkte in geringer Konzentration, erwies sich als äußerst beständig, zeigte eine außergewöhnliche Dauerwirkung und ließ sich darüber hinaus preiswert herstellen. Im März 1940 wurde das schweizerische Patent erteilt, 1942 erschienen die ersten Produkte auf dem Markt. Müller setzte nach diesem Erfolg die Untersuchungen fort und prüfte eine Reihe weiterer, dem DDT nahe kommender Verbindungen, die jedoch nur selten den von ihm gesetzten Kriterien entsprachen oder lediglich in speziellen Fällen einsetzbar waren. Bemerkenswert sind jedoch seine Überlegungen zu den Beziehungen zwischen chemischer Struktur und physiologischer Wirkung, die zwar wegen damals unzureichenden theoretischen Wissens und mangelnder Kenntnis der Stoffwechselvorgänge keine brauchbaren Ergebnisse hervorbrachten, dennoch aber auf einen entscheidenden Aspekt der physiologisch wirkenden Substanzen hinwiesen.
 
 Kampf gegen von Insekten übertragene Infektionskrankheiten
 
Im September 1942 diskutierten Ärzte erstmals über die Möglichkeit eines Schutzes gegen von Insekten übertragene Infektionskrankheiten mittels DDT. Noch im selben Jahr ließen sich mit einer heimlich in die USA geschafften Probe alle Ergebnisse bestätigen. So erfuhr die Anwendung des Kontaktgifts DDT bereits im Zweiten Weltkrieg weit reichende Bedeutung. Denn gerade zu jener Zeit forderten Fleckfieber, Malaria und Pappatacifieber viele Opfer — ein Umstand, der durch die Beeinträchtigung der Kriegsführung auch einen militärstrategischen Stellenwert erlangte.
 
Als Oktober 1943 in Neapel eine schwere Fleckfieberepidemie ausbrach und sich alle herkömmlichen Maßnahmen als völlig unzulänglich erwiesen, wurden 1 300 000 Menschen mit DDT behandelt. Innerhalb von drei Wochen war man der Epidemie Herr geworden. DDT hatte eindrucksvoll die Feuerprobe bestanden. Und auch im Rahmen der Befreiung der Häftlinge aus den Konzentrations- und Gefangenenlagern leistete DDT wertvolle Dienste. Wenig später gelang es in den Mittelmeerländern, DDT erfolgreich zur Malariabekämpfung einzusetzen. Unter anderem bekam man erstmals die nahe Rom gelegenen, berüchtigten Pontinischen Sümpfe malariafrei.
 
Diese spektakulären Ergebnisse in der Bekämpfung begründeten die Verleihung des Nobelpreises an Müller. Doch weder Müller als Entdecker des DDT noch Ärzte, Chemiker oder Biologen wandten in den folgenden Jahren ihre Aufmerksamkeit dem jüngst wieder diskutierten Verbleib des schwer abbaubaren überschüssigen DDT bei Pflanzen und Warmblütern zu. Es dauerte mehrere Jahrzehnte, bis erkannt wurde, dass es sich über die Nahrungskette im Fettgewebe anreichern und erhebliche toxische Spätfolgen verursachen kann. Der Einsatz von Kontaktinsektiziden des DDT-Typs ist inzwischen in vielen Ländern verboten oder erheblich eingeschränkt worden. Da es aber zu DDT nach wie vor keine effektive Alternative in der Malariabekämpfung gibt, findet es vor allem in den Ländern der Dritten Welt auch heute noch Anwendung. Die gesundheitsschädliche Wirkung des Insektizids ist letztlich bis heute nicht eindeutig geklärt.
 
M. Engel

Universal-Lexikon. 2012.

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